Die Finanzmarkt-Trümmerfrauen
Financial Times Deutschland – 12.02.2009 | von Ruth Fend
Frauen sind die besseren Finanzexperten. Das macht sie zu den Gewinnern der Krise. Nun sollen sie die Trümmer der Männer wegräumen – und mit ihrem Gespür für Risiken den nächsten Absturz verhindern
Die Welt vor den Büroräumen der Grindelallee 176 ist laut und hektisch; drinnen ist es – Klischee hin oder her – ein wenig weiblich. Während draußen der Verkehr an den Glaswänden vorbeidonnert, wabern im Großraum Nebelschwaden über einer beleuchteten Schale, und die Rollos sind bedruckt mit rosa Rosenblüten. Hier ist das Reich von Susanne Kazemieh, Gründerin der Frauen-Finanz-Gruppe.
Ein wenig Rosarot in diesen Krisenzeiten, in denen es fast jedem schlecht geht, Kazemieh aber spürt die Krise nur daran, dass ihr die Kunden schier die Tür einrennen, vier bis fünf neue am Tag sind es seit einem Jahr. Eigentlich müsste sie Beraterinnen einstellen, um all die Nachfrage zu bedienen, aber so schnell findet sie kein qualifiziertes Personal.
Seit 20 Jahren betreut die Hamburger Anlageberaterin Frauen in Finanz- und Versicherungsfragen. Eine andere Beratung als die Banken verspricht Kazemieh, die Sonderpädagogik und Musik studiert und sich später in Finanzthemen weitergebildet hat. Eine Beratung, bei der sie die ganze Person in den Blick nimmt, herausfindet, welche Rolle Geld für sie spielt, wofür sie es braucht. Erst dann stellt sie Fonds, Aktienpakete und Versicherungen zusammen – hauseigene Produkte hat sie nicht im Angebot. Zertifikate rührt sie nicht an.
Kazemiehs größtes Asset, so sagt sie, sei ihr Geschlecht. Nicht nur, weil Frauen ihrem Gegenüber zuhörten, statt ihm Zahlenkolonnen und Besserwissereien um die Ohren zu hauen. Der Umgang mit Geld sei ein ganz anderer: „Frauen wollen mit Geld die Welt positiv gestalten und sehen seinen Wert weniger als Statussymbol“, sagt Kazemieh. An den Börsen agierten sie gelassener: „Sie haben ein viel besseres Gespür für Risiko.“
Dieses Gespür ist gefragt. Konzepte wie „Financial Wellness“, ein wohldosiertes Risiko, mit dem es sich noch gut schlafen lässt, nicht mehr nur höchstmögliche Rendite. Das passt in die Zeit. Und so kommen in die Grindelallee nicht nur Frauen, denen Kazemieh eine Alternative zu männlichen Beratern bieten will: Rund 1000 ihrer 7500 Kunden sind Männer. Kazemieh ist Krisengewinnlerin, auch wenn sie sich selbst nie so bezeichnen würde.
Mit dem ersten großen Knall in der Krise, der Pleite von Lehman Brothers, ist nicht nur eine Investmentbank in die Knie gegangen, sondern eine ganze Führungselite. Für Kazemieh ist es nicht der Kapitalismus, der in der Krise steckt, sondern „das männliche Prinzip“, in dem Fehler tabu seien und das vor Überheblichkeit strotze. „Was passiert ist, wäre unvorstellbar gewesen, wenn Frauen an den Schalthebeln gesessen hätten.“
Die Wissenschaft unterstützt diese These. So fand im vergangenen Jahr ein britisches Forscherteam heraus, dass Selbstbewusstsein und Risikobereitschaft von Börsenhändlern mit ihrem Testosteronspiegel steigen. Die Lust auf Risiko könne „zur Obsession werden“, warnt der Ökonom John Coates in der Studie – und plädiert für mehr Händlerinnen auf dem Parkett: „Wenn die Risikopräferenz teilweise von den Hormonen bestimmt wird, müssten die Banken zur Risikoreduzierung für einen besser durchmischten Handelsraum sorgen.“
Dass Risikofreude langfristig nicht mehr Rendite bringt, zeigen andere Studien: So haben Wissenschaftler der University of California sechs Jahre lang das Anlageverhalten von 35 000 Kunden eines Discountbrokers beobachtet. Die Depots weiblicher Anleger erzielten ein um 1,4 Prozent höheres Ergebnis. Die DAB Bank stellt langfristig gar 2,8 Prozent höhere Renditen bei Kundinnen fest, die Comdirect Bank zwei bis drei Prozent.
Auch Unternehmensberaterin Monika Schulz-Strelow hält es nicht für abwegig, dass mehr Östrogene und X-Chromosomen an den Börsen und in den Investmenthäusern das große Zocken verhindert hätten. „Aber das sind Gedankenspiele.“ Jetzt, wo die Finanzwelt in Trümmern liegt, geht es um Krisenmanagement. „Und da“, sagt Schulz-Strelow, „sollten Frauen eine wichtige Rolle spielen“. Wo harte Reformen bevorstehen, sei weibliches Führungspersonal eine gute Wahl. „Sie müssen die Verunsicherung rausnehmen und wieder Akzeptanz herstellen.“ Dafür bräuchte es neben Fachwissen auch Sensibilität und Motivationskünste – über beides verfügten Frauen überdurchschnittlich. „Wenn sie in hohe Positionen gelangen und schwierige Aufgaben wie Sanierungen und Restrukturierungen übernehmen, nehmen Frauen diesen Job besonders ernst“, sagt Schulz-Strelow. Schmerzhafte Schritte zögen sie nach sachlichen Kriterien und unabhängig von Außeneinflüssen durch. „Frauen haben nicht so viele Menschen, die ihnen im Laufe ihrer Karriere geholfen haben“, bestätigt Ulrike Wieduwilt von der Personalberatung Russell Reynolds. „Die Seilschaften fehlen und damit die Verbindlichkeiten anderen gegenüber.“ Könnte sich also der viel beklagte Umstand, dass Frauen weniger gut vernetzt sind als ihre männlichen Kollegen, auf einmal in einen Karrierevorteil verwandeln?
Zumindest die Politik schickt Frauen derzeit gern an die Krisenherde, allen voran Barack Obama: Als klar wurde, dass die US-Börsenaufsicht SEC darin versagte, dem Milliardenbetrüger Bernard Madoff auf die Schliche zu kommen, präsentierte Obama Mary Schapiro als Hoffnungsträgerin. Die Chefin der internen Kontrolle der New Yorker Börse und der Technologiebörse Nasdaq (Finra) gilt, obwohl seit 20 Jahren Teil des Regulierungsestablishments, als scharfe Aufpasserin. Als „schlau und hart in der Sache“ bezeichnet Obama sie.
Und dann ist da noch das Sorgenkind US-Haushalt mit seinen gigantischen Schulden. Über den sollte eigentlich die McKinsey-Managerin Nancy Killefer als „Chief Performance Officer“ wachen, ihn auf Verschwendung durchforsten, überflüssige Posten streichen – ein Job, der eben jene Unabhängigkeit erfordert, die Schulz-Strelow und Wieduwilt an Frauen schätzen. Weil sich Killefer als Modernisiererin der Bundessteuerbehörde als effektive Kommunikatorin erwiesen hatte, hielt Obama sie für die Richtige. Bis herauskam, dass sie versäumt hatte, Steuern für eine Haushaltshilfe abzuführen. Dass auch Frauen am Finanzmarkt nicht zwangsläufig als Gewinner oder gar Heilige auftreten, zeigt auch der Fall Sonja Kohn, Mehrheitseignerin der Wiener Bank Medici, die laut unbestätigten Medienberichten nicht nur mit dem Rekordbetrüger Bernard Madoff zusammenarbeitete, sondern die Anlagestrategien mit ihm entwickelte.
In Deutschland sind solche prominenten Verfehlungen und Fehlschläge von Frauen noch nicht bekannt geworden. Zwar war Bettina von Oesterreich bis zum Januar ausgerechnet Vorstand für Risikomanagement bei der taumelnden Hypo Real Estate. Als Peer Steinbrück jedoch vergangenes Jahr den Rücktritt des gesamten Vorstands forderte, stellte sich der Finanzminister schützend vor die damals einzige Frau in einem Dax-Vorstand. Den Posten hatte sie erst 2007 angetreten – zu spät, um für die ganz großen Fehler des Instituts verantwortlich zu sein.
Dem Bild der strengen Aufseherin mit weichen Kompetenzen entspricht zudem Sabine Lautenschläger. Seit April 2008 hat sie als Exekutivdirektorin der BaFin die zweitwichtigste Funktion der deutschen Finanzaufsicht inne. Insider loben ihr diplomatisches Geschick, ihr Fachwissen und ihre Unbeugsamkeit.
Die Banken allerdings entdecken das weibliche Potenzial erst langsam. Sie hätten die Zeichen der Zeit kaum erkannt, kritisiert Personalexperte Uwe Zirbes von Hunting Heads. Die Anforderungen an Manager auf Executive-Ebene hätten sich kaum geändert. Dabei müssten Banken derzeit alles tun, um wieder Vertrauen aufzubauen. „Und das kann nur gelingen, wenn Banken einen anderen Typus Manager fördern“, sagt Zirbes.
Querdenker würden der Branche gut tun; und ältere Entscheider, die Krisen und Misserfolge schon miterlebt hätten, risikobewusster seien. Und schließlich Frauen, da sie, so Zirbes, „vielleicht die eine oder andere Kompetenz mehr mitbringen“ und oft weniger vorbelastet seien. Besonders wichtig sind dem Headhunter zufolge zurzeit solides Risikomanagement und Verhandlungsgeschick.
Immerhin: Die isländischen Krisenbanken Landsbanki und Glitnir haben für die schwierige Übergangszeit bis April zwei weibliche CEOs an die Spitze berufen. Typisch, findet Beraterin Schulz-Strelow: „Viele männliche Manager wollen sich im Moment nicht die Finger verbrennen.“ Und Indiens größte Bank ICICI wird seit Dezember von Chanda Kochhar, der Starmanagerin im Sari, geführt. Schulz-Strelow ist überzeugt: „Frauen, die jetzt in den Startlöchern sitzen, werden vermehrt in die nächsten Führungsebenen einziehen.“ Nicht nur in den Banken, sondern in sämtlichen Unternehmen, bei denen die Rezession die Vorstände durcheinanderwirbelt.
Susanne Kazemieh von der Frauen-Finanz-Gruppe sieht das ähnlich. Die Finanzkrise, sagt sie, hat doch auch etwas Tolles. „Ich bin überzeugt, dass sie das weibliche Prinzip stärkt.“